Rot:
Expedition 1871/72; Grün: Expedition 1874-77; Blau: Expedition 1888/89
Vom schottischen Missionar und
Afrikaforscher David Livingstone, einem Arzt, der im Auftrag der London
Missionary Society unterwegs war, gab es seit seinem Aufbruch 1866 kein
Lebenszeichen mehr. Obwohl Stanley die Geschichte später sehr dramatisch
darstellte, brach er erst ein ganzes Jahr später auf. Zwischendurch berichtete
er für seine Zeitung noch von der Eröffnung des Sueskanals, von Ausgrabungen in
Jerusalem und schließlich aus Konstantinopel. Erst 1870 brach er von Bombay aus
auf, Livingstone zu finden.
"Doktor
Livingstone, nehme ich an"
Wie er es im Abessinienkrieg
gelernt hatte, brach er mit einem riesigen Tross auf, 190 Männer, nur zwei
weitere Briten, die übrigen afrikanische Träger. Er bewegte sich von Osten her
Richtung Zentralafrika und begegnete am 10. November 1871 in Udschidschi, in
der Nähe des Tanganjikasees einem Europäer. "Doctor Livingstone, I
presume?" - "Doktor Livingstone, nehme ich an", soll er gesagt
haben. Da Stanleys europäische Begleiter die Reise nicht überlebten, die
Afrikaner nie befragt wurden und Livingstone bis zu seinem Tod ein Jahr später
nichts aufschrieb, liegt nur Stanleys Bericht vor.
Die beiden Männer waren sehr
verschieden: Hier der Missionar Livingstone, der Afrika und die Afrikaner
liebte, ihre Sprachen lernte und keinen Profit aus seinen Reisen zog. Dort Stanley,
der ehrlich zugab, den Kontinent von ganzem Herzen zu verabscheuen. Seine
Bücher über Afrika heißen denn auch "Durch den dunklen Weltteil"
oder "Im dunkelsten Afrika", und dunkel war in Stanleys Augen
nicht nur die Hautfarbe der Bewohner.
Stanleys Bücher über Afrika
enthalten sehr viele Details. In "Durch den dunklen Weltteil"
gibt es über hundert Zeichnungen, unter anderem Pläne afrikanischer Häuser,
Pläne typischer Dörfer, Zeichnungen von Schlachten, Vergleich verschiedener
afrikanischer Kanupaddel. Tabellen informieren über die Luft- und
Wassertemperatur, die Tiefe der verschiedenen Seen, oder über den Preis eines
Huhnes. Seine Bücher enthalten auch oft Auszüge seiner Tagebücher, allerdings
haben diese mit den wirklichen Tagebüchern oft nicht so viel zu tun. Dort
führte er beispielsweise Buch über die Bestrafung von Trägern: "Die beiden
Betrunkenen zu 100 Peitschenhieben verurteilt, danach 6 Monate in Ketten."
Während Stanley in Afrika war,
schrieb er seiner Verlobten Katie Gough-Roberts, einer jungen Frau aus seiner
Heimatstadt Denbigh, viele Briefe, die er ihr von Häfen aus auch schickte. In
einem gestand er seine wahre Herkunft, uneheliche Geburt und unglückliche
Kindheit. Leider musste er nach seiner Rückkehr feststellen, dass sie in der
Zwischenzeit einen anderen geheiratet hatte. Stanley, der Zeit seines Lebens
Angst hatte, seine Herkunft könne bekannt werden, versuchte, diese Briefe
wieder an sich zu bringen, doch vergebens.
Die Royal Geographical Society
empfing Stanley mit Hochmut, denn auch sie hatte eine Expedition ausgeschickt,
Livingstone zu finden, doch zu spät. Die Echtheit der Briefe, die er von
Livingstone mitgebracht hatte, wurde angezweifelt, und Königin Victoria empfing
ihn zwar, urteilte danach aber, er sei ein "grässlicher kleiner
Mann".
Ziel der zweiten Expedition war
es, herauszufinden, woher der Nil kommt. Livingstone dachte, der Lualaba sei
die Quelle des Nils, während der Brite John Speke dachte, der Nil entspringe am
Nordufer des Viktoriasees. Doch Stanley wollte außerdem beweisen, dass seine
erste Reise kein Zufallstreffer war. Er zog nicht nur mit 359 Mann los, sondern
hatte ein Schiff dabei, die Lady Alice, in Einzelteile zerlegt. Das Schiff war
nach seiner Verlobten Alice Pike benannt, nach der er noch einige geographische
Entdeckungen benennen sollte, etwa Alice Island und Alice Rapids. Doch nach
seiner Rückkehr musste er (wieder einmal) feststellen, dass die Verlobte
unterdessen einen anderen, einen Eisenbahnbesitzer aus Ohio, geheiratet hatte.
Nach nur drei Monaten waren
bereits 150 Männer gestorben - teils von feindseligen Stämmen ermordet, teils
durch Krankheiten, teils von Stanley in den Tod getrieben worden. Stanley, der
selbst die Fronten gewechselt hatte und desertiert war, kannte keine Gnade
gegenüber Deserteuren. Sie erwartete die Nilpferdpeitsche, oder sie wurden in
die Sümpfe getrieben.
Seine Expedition dauerte fast
1000 Tage. Er legte etwa 11.000 Kilometer zurück. Von seinen weißen Gefährten
überlebte wieder keiner. Bei seiner Ankunft in Boma an der Kongomündung war
Stanley 36 Jahre alt, doch durch die Strapazen ausgemergelt und früh
weißhaarig. Er schrieb erste Artikel, nach seiner Rückkehr nach England hielt
er Vorträge und schrieb Bücher.
Er war bestrebt Zentralafrika und
den Kongo dem britischen Kolonialreich einzugliedern, doch im Vereinigten
Königreich ging niemand auf seine Ideen ein.
Leopold II. von Belgien jedoch
las seine Berichte ebenfalls. Der junge Monarch war hungrig nach Kolonien. Mehrere
Versuche, solche zu erlangen, waren bereits fehlgeschlagen. Leopold hatte
zunächst eine philanthropische Gesellschaft zur Erforschung des Kongo
gegründet. Im September 1876 veranstaltete er eine große geographische
Konferenz in Brüssel, bei der es um die Erforschung des Kongos ging.
Am. 10. Juni 1878 traf er Stanley
und die beiden gingen einen Handel ein. Stanley sollte den Kongo für Leopold
erwerben, Leopold würde dafür sorgen, dass formal alles in Ordnung kam. Sie
schlossen einen Fünfjahresvertrag ab. Stanley erhielt Geld von Leopold, musste
jedoch zusätzliche Mittel zur Finanzierung seiner Expeditionen einwerben. Er
ging auf Vortragsreise und konnte sogar Missionsgesellschaften dazu bringen,
Geld zu spenden.
Stanley sammelte unterdessen
Kaufverträge für das Land rund um den Fluss. Die Stammesfürsten und Häuptlinge,
die die Papiere in der ihnen unbekannten Sprache unterschrieben, wussten wohl
nicht, was sie taten. Ähnliches hatten zuvor schon die Eroberer Mexikos getan. Eine
Klausel der Verträge besagte, dass nicht nur der Boden, sondern auch die
Arbeitskraft der Bewohner in den Besitz von Leopold übergehen.
Fünf Jahre lang war Stanley
offiziell Leopolds Mann im Kongo und begann mit dem Bau einer Piste von der
Mündung des Kongo entlang der Kongofälle, 200 km lang, bis Stanley Pool (heute
Pool Malebo) von wo aus der Kongo schiffbar war. Bei diesem Projekt kamen viele
der zwangsweise rekrutierten Einheimischen um. Stanleys teilweise
rücksichtsloses Vorgehen wurde in England stark kritisiert und brachte ihm den
afrikanischen Spitznamen Bula Matari ("der die Steine bricht")
ein.
Kleine Dampfschiffe wurden
stückweise zum Stanley Pool geschafft und zusammengebaut. Stanley gründete eine
Stadt, die er nach seinem Gönner Leopoldville nannte (heute Kinshasa). An 1500
Kilometern Flusslauf entlang wurden weitere Stationen geplant und gebaut. All
dies, so wurde es nach außen dargestellt, im Dienste der Wissenschaft und im
Kampf gegen die Sklaverei.
Trotz all dieser Aktivitäten
konnten Stanley und Leopold zunächst ihren guten Ruf erhalten. 1884 nahm
Stanley an der internationalen Kongokonferenz teil, die Otto von Bismarck in
Berlin veranstaltete. Der Kongo wurde Leopold als persönlicher Besitz
zugesprochen, damit er ihn entwickle.
Offiziell trennten sich die Wege
von Leopold und Stanley nach fünf Jahren, doch heimlich stand Stanley weiter
auf der Gehaltsliste des Königs.
1889 fand in Brüssel eine große
Konferenz gegen die Sklaverei statt. Sklavenhändler waren traditionell arabische
Kaufleute, die Konferenz stellte also für die europäischen Teilnehmer kein
Problem dar. Leopold ließ Stanley auf dieser Konferenz auftreten, um seine
Position auf der Konferenz zu festigen und gleichzeitig dem belgischen Parlament
einen Kredit von 25 Millionen Franken zu entlocken.
Stanleys Wirken hatte es
ermöglicht, dass eine Privatperson - Leopold II. - der Besitzer von 2,5
Millionen Quadratkilometern Land sowie der Arbeitskraft der Einwohner war. Dies
wollte ausgenutzt werden. Zunächst wurde nur Elfenbein nach Europa verschifft. Doch
es gab - außer den später entdeckten Bodenschätzen - noch etwas im Kongo: Kautschuk.
1844 hatte der amerikanische Chemiker Charles Goodyear die Vulkanisierung des Kautschuks
patentieren lassen. 1888 erfand John Boyd Dunlop den Gummireifen. Er war ein
riesiger Erfolg. Wenn man sich die gepflasterten Straßen der Zeit und die
Schlaglöcher auf den Landstraßen vorstellt, kann man ermessen, warum. Diese
Erfindungen führten zu einer riesigen Nachfrage nach Gummi. Um den Gummirohstoff
zu erhalten, gingen die Truppen des belgischen Königs mit Härte vor. Dörfer
wurden überfallen und die Bewohner erhielten den Auftrag, eine bestimmte Menge
Naturkautschuk zu gewinnen, sonst wurde das ganze Dorf niedergebrannt. Wer zu
fliehen versuchte, wurde erschossen. Als Beweis für den Verbrauch von
Gewehrkugeln mussten die Truppen für jede verbrauchte Kugel die Hand des Opfers
vorlegen. Die Hände wurden deshalb auch Lebenden abgehackt, irgendwie musste
man ja verbrauchte Kugeln erklären.
Unterdessen nahm Stanley aber
auch andere Aufträge an. Im Sudan, der ab 1821 unter die Herrschaft der
osmanischen Vizekönige von Ägypten gekommen war, brach 1881 der Mahdiaufstand
aus. Nachdem die britische Expedition zur Rettung des Gouverneurs Gordon Pascha
unter General Wolseley ihr Ziel nicht erreicht hatte und Gordon umgebracht
worden war, zogen die anglo-ägyptischen Truppen aus dem Sudan ab. Nur Sawakin,
am Roten Meer, und Wadi Halfa, in der Nähe der ägyptischen Grenze, blieben
besetzt. Der deutsche Forscher Emin Pascha behauptete sich als Gouverneur der
südlichsten Provinz des Sudan Äquatoria. Emin Pascha, eigentlich Eduard
Schnitzer, ein Deutscher aus Oppeln (Schlesien), musste erfahren, dass die
Briten keine Anstalten machten, den Sudan zurückzuerobern. Er schrieb deshalb
einen Brief an die Times, in dem er um Hilfe bat. Gleichzeitig forderte
der Anführer der Mahdisten Abdallahi ibn Muhammad, dass Königin Victoria in den
Sudan kommen und zum Islam konvertieren solle. Die daraus resultierende
Empörung in der britischen Bevölkerung führte dazu, dass rasch die finanziellen
Mittel für eine Expedition zur Befreiung Emin Paschas aufgebracht wurden. Stanley
wurde beauftragt, die Expedition zu leiten. Er musste Leopold bitten, ihn von
seinen Verpflichtungen zu entbinden. Das tat dieser unter der Bedingung, dass
Stanley nicht den kürzesten Weg nehme, sondern durch einen noch unbekannten
Teil des Kongo reisen müsse. Außerdem sollte er Emin Pascha überreden, als
Gouverneur zu bleiben, sich aber dem Kongo zu unterstellen. Die Expedition, die
bereits nach Sansibar aufgebrochen war, wurde deshalb zur Mündung des Kongo
umgeleitet.
Stanley bereitete die Reise gut
vor, einige Aspekte muten geradezu skurril an. Die mitreisenden Offiziere
mussten sich verpflichten, keine Bücher über die Expedition zu veröffentlichen.
Das Dampfschiff, das die Gruppe auf dem Unterlauf des Kongo transportierte,
hatte die Fahne des Yachtklubs von New York gehisst, auf Wunsch des Verlegers James
Gordon Bennett Jr. Die Truppe von 389 Mann war stark dezimiert, als sie Emin
Pascha schließlich gegenüber stand. Dieser trug, wie Stanley selbst notierte,
eine blütenweiße frisch gebügelte Uniform und man fragt sich, wer da wen
gerettet hat, zumal die Vorräte der "Befreier" erschöpft waren.
Stanley konnte Emin Pascha mit
knapper Not überreden, mit ihm zu kommen, aber diesmal auf der kürzeren Route,
Richtung Osten. Zu Stanleys Unglück konnte er ihn nicht überreden, in die
Dienste Leopolds zu treten, er entschloss sich, für die Deutschen zu arbeiten.
Obwohl die Expedition alles
andere als ein Erfolg war, wurde Stanley bei seiner Rückkehr nach Europa ein
triumphaler Empfang bereitet. Er wurde mit Ehrungen überhäuft, erhielt
Medaillen mehrerer europäischer wissenschaftlicher Gesellschaften und
Ehrendoktorwürden der Universitäten Oxford, Cambridge, Durham und Edinburgh. Zu
einem Empfang, den die Royal Geographical Society ihm in der Royal Albert Hall
gab, kamen 10.000 Gäste, darunter auch der Prince of Wales.
Am 12. Juli 1890 heiratete
Stanley die Gesellschaftsmalerin Dorothy Tennant. Sie hatte ihn einige Jahre
zuvor verschmäht, doch nach der Rettung Emin Paschas begonnen, ihm Briefe zu
schreiben. Mehrere Biographien Stanleys, darunter Frank McLynn, gehen davon
aus, dass die Ehe nie vollzogen wurde, aber die Stanleys adoptierten 1896 einen
Sohn, Denzil Stanley. Es gefiel Stanley, nicht mehr allein zu sein. Er reiste
nur noch in "zivilisierte Gegenden", wo er Vorträge hielt und seine
Bücher vorstellte. Von einer Vortragsreise nach Australien zurückgekehrt, ließ
er sich 1892 in England re-naturalisieren und gehörte von 1895 bis 1901 dem
Unterhaus an, wo er sich der Unionistischen Partei anschloss. Im Oktober 1897
reiste er einer Einladung zur Eröffnung der Bulawayo Railway folgend, durch
Südafrika, besuchte Transvaal, den Oranje-Freistaat und Natal und traf in Pretoria
Paul Kruger. 1899 wurde er zum Ritter des Order of the Bath (KCB) geschlagen.
Die Nachrichten von den
Gräueltaten im Kongo erreichten jedoch unterdessen England. Edmund Dene Morel,
ein junger Mann, der im Transportgewerbe arbeitete, hatte in den neunziger
Jahren festgestellt, dass Schiffe aus dem Kongo eine Menge Waren brachten, vor
allem Elfenbein und Gummi, aber dass auf dem Rückweg nur Munition transportiert
wurde. Er startete die wohl erste Menschenrechtskampagne der Geschichte, gab
einen regelmäßigen Rundbrief heraus und korrespondierte mit Missionaren und
Kongoreisenden, unter anderem dem Schriftsteller Joseph Conrad, die ihn mit
Informationen versorgten.
Als Stanley am 10. Mai 1904 in London
starb, war die Stimmung umgeschlagen. Der Dekan der Westminster Abbey, J.
Armitage Robinson, verweigerte ihm seinen Wunsch, ein Begräbnis in der
Westminsterabtei an der Seite Livingstons. Er wurde stattdessen in seinem
letzten Wohnort, Pirbright in Surrey, beigesetzt. Seine Frau ließ ihm einen
Grabstein mit der Inschrift „Henry Morton Stanley, Bula Matari, 1841–1904,
Africa“ errichten.
Angegeben ist jeweils die
Erstausgabe.
Wikipedia
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